Jeder Millimeter muss perfekt sein.
Die Funken fliegen. Das Metall glänzt fast wie nigelnagelneu. Martin Horath arbeitet konzentriert, streicht zwischendurch zur Kontrolle immer wieder mit dem Finger über die Kanten. Sein Anspruch ist hoch: Jeder Millimeter muss perfekt sein. Der 55jährige Lokomotivführer und Leiter der Werkstätte Goldau wurde mit einer grossen Aufgabe betraut: Gemeinsam mit einer Handvoll Gleichgesinnter soll er dafür sorgen, dass die «Lok Nr. 7» pünktlich zum nächstjährigen 150 Jahre Jubiläum der Rigi Bahnen wieder fahrtüchtig ist. Die dafür benötigten geschätzten 200 bis 400 Arbeitsstunden sind für den renommierten Dampfmaschinenspezialist ein Privileg, für das er gerne etwas Zeit investiert. «S Sibni ist meine Lieblingslokomotive», gesteht er und seine Augen strahlen. «Sie ist die letzte noch betriebsbereite Zahnraddampflokomotive mit einem stehenden Kessel und die allererste Maschine aus den Werkstätten der Schweizerischen Lokomotiv und Maschinenfabrik Winterthur.» Damit ist sie so einzigartig und historisch bedeutend, wie die Strecke, die sie ab dem 21. Mai 2021 wieder befahren soll.
Älteste Zahnradbahn Europas
Im 19. Jahrhundert schrieb die Rigi Bahngeschichte. Damals löste der aus dem Elsass stammenden Basler Ingenieur Niklaus Riggenbach das Adhäsionsproblem von Eisenbahnen bei Neigungen von über 70 Promille, indem er sie mittels Zahnrad und Zahnstange über eine Art eiserne Leiter in der Mitte der Schienen führte. Am 21. Mai 1871, seinem 54. Geburtstag, fuhr so die erste Bahn von Vitznau auf die Staffelhöhe. Damit war die Königin der Berge verkehrstechnisch erschlossen die älteste Zahnradbahn Europas und ihr Erfinder gingen in die Geschichtsbücher ein. Vier Jahre später folgte die Draufgabe: Riggenbach durfte auch die ArthRigiBahn realisieren. Damit wurde der Gipfel der Königin der Berge, Rigi Kulm, erstmals für jedermann zugänglich.
Heute ziert ein Portrait des Visionärs die Wand über der Tür zur Werkstätte von Martin Horath und seinem Team. Seit die «Lok Nr. 7» letzten September mit dem Schiff MS Diamant vom Verkehrshaus in Luzern überführt wurde, werken die sechs bis sieben Mann hier nach Möglichkeit am geschichtsträchtigen Gefährt. Zu tun gibt es viel. Bevor die Lok wieder dampfen kann, muss sie zuerst komplett zerlegt, kontrolliert, gereinigt, neu gestrichen und wieder zusammengebaut werden.
Mechanik pur
Es ist das zweite Unterfangen dieser Art in der Geschichte des «Sibni» und der Geschichte von Martin Horath. Der gebürtige Goldauer war auch schon mit von der Partie, als die «fahrende Schnapsbrennerei», wie man die Dampflok einst im Volksmund nannte, anlässlich des 125jährigen Jubiläums der Rigi Bahnen das erste Mal wieder instandgesetzt wurde. Damals an der Seite seines Vaters Ferdinand, dessen Stelle er als Werkstattleiter nach der Pensionierung des Vaters übernahm. Grosse Überraschungen erwarte er deswegen auch nicht, gibt sich Horath hoffnungsvoll, wenngleich sich natürlich erst im Prozess herausstelle, welche Arbeiten nötig sein werden. Aber der Kessel sei schon mal in einem besseren Zustand als gedacht, und auch die Achsen seien grundsätzlich gut, erzählt er.
Was er an der Lok im Speziellen und an dampfendem «alten Zeugs» so liebt? «Es ist Mechanik pur!», schwärmt der gelernte Mechaniker. «Und zwar nicht nur in der Werkstatt, sondern auch beim Fahren. In eine Elektrolokomotive steigt man ein, dreht den Schalter um und fährt los. Anders bei einer Dampflok. Hier muss das Zusammenspiel von Wasser und Feuer stimmen und das ist immer eine Tüftelei. Keine Fahrt ist wie die andere. Und «s Sibni» ist eine wahre Pionierleistung. Dass sie heute noch fahrtüchtig ist und offiziell betrieben werden kann, ist wirklich etwas Besonderes.»
Wie es ist, wenn es, wie er sagt, «raucht, man mit der Maschine lebt und alles sieht», davon kann man sich ab 21. Mai 2021 selbst überzeugen, wenn die alte Dame erneut auf Reisen geht. 1,5 bis 2 Stunden wird die exklusive Bergfahrt dann dauern Fahrgefühl von anno 150 Jahren inbegriffen! Und wer Glück hat, wird vielleicht von Lokführer Martin Horath persönlich chauffiert.
Text: Carina Scheuringer
Fotos: Carina Scheuringer und zVg
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